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Sonntag, 15. Januar 2017

Rebellion - Aufbruch nach New York - FOUR (Online Story zum Mitlesen)

Und schon hab ich Teil 4 für euch! 
Vorangegangene Teile ebenfalls hier auf diesem Blog zu finden ;-) 
Viel Spaß beim Lesen! 






Rating
P18

Kategorie
Gay Romance, Drama, History, Lemon

Zusammenfassung
Max und Leon, zwei Jungs aus Virginia/USA in den 30er Jahren aus einer kleinen Stadt namens Hopewell, entdecken ihre Gefühle füreinander und sind alsbald auf der Flucht in die Großstadt. 



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REBELLION


Aufbruch nach New York



~ FOUR ~



Mit roten Wangen saß Clementine auf dem Sofa im Wohnzimmer der Jenkins Farm. Der Reverend und seine Frau unterhielten sich angeregt mit Max‘ Eltern. Rosalie schenkte noch einmal Kaffee nach und bot den Gästen vom selbstgebackenen Apfelkuchen an. Clementine lehnte dankend ab, was Max noch mehr Sorgen bereitete. Sie schien sich also schon auf ihre neue Rolle zu freuen und wollte sich für ihn von ihrer besten Seite zeigen. Sogar die langen, blonden Haare waren heute einigermaßen schön. Was für ein Wahnsinn!
»Greif zu, Clem! Nur keine Scheu!«, versuchte er, sie irgendwie aus der Reserve zu locken. Ein bisschen sarkastisch hatte es schon geklungen, fand er im Nachhinein.
Das junge Mädchen errötete bis unter die Haarwurzeln, lehnte aber erneut mit einem Kopfschütteln ab. Dummerweise wollte Max das nicht gelten lassen und drängte ihr einfach ein Stück auf, indem er es persönlich mit der versilberten Kuchengabel auf einen Teller legte und an ihren Platz brachte. Sie schenkte ihm ein säuerliches Lächeln und begann mit der Gabel darin herumzustochern.
Er beobachtete sie genau, während ihre Eltern sich unterhielten, Höflichkeitsfloskeln austauschten und über die Zukunft ihrer Kinder sprachen, ohne diese persönlich dazu anzuhören. Erst als sein Vater ihn direkt auf Clementines hübsches Aussehen heute ansprach, erwachte er aus seiner Starre und blickte in die erwartungsvollen Augen des jungen Mädchens.
»Mhm.« Mehr wollte und konnte er nicht dazu sagen. Selbst wenn er sie wirklich attraktiv gefunden hätte, wäre ihm in diesem Moment jedes Wort im Hals stecken geblieben.
»Warum zeigst du Clementine nicht ein wenig die Farm, Junge?«
Er hätte seinen Vater am liebsten dafür geohrfeigt. »Muss das sein?«
Wider Erwarten räusperte sich das junge Mädchen nun doch. »Es würde mir gefallen, wenn du mich ein wenig herumführst, Max.«
Er saß in der Falle. Vielleicht hatte er noch kein Radar für schwule Männer, aber ganz sicher eins für liebestolle junge Mädchen ohne Schamgefühl! Verdammt! Mit einem Kopfnicken bedeutete er ihr, ihm nach draußen zu folgen und Clementine machte sich zufrieden grinsend auf den Weg. Als ob er dabei wäre, sie auf einem riesigen Grundbesitz mit feudalem Wohnhaus herumzuführen, dachte Max, innerlich den Kopf über sie schüttelnd.
Wie hatte er sich nur so in ihr täuschen können? Kaum waren sie im Pferdestall verschwunden, kam sie auch schon dicht an ihn heran und säuselte ihm verliebt ins Ohr.
»Hast du schon mal ein Mädchen geküsst?«
Max blieb verdutzt stehen. »Natürlich!«, log er geradeheraus.
Sie spitzte prompt ihre Lippen und wartete darauf, dass er die Initiative ergriff. Worauf hatte er sich da nur eingelassen? Entschieden stapfte er voran zur ersten Box und sprach mit seinem Pferd.
»Na, Storm, mein Lieber? Alles klar bei dir?«
Abrupt öffnete Clementine ihre Augen und marschierte resolut auf ihn zu. Jetzt war sie rot vor Wut statt vor Verlegenheit. Ihre bisher gute Erziehung verbot ihr jedoch, ihn darauf anzusprechen, also machte sie gute Miene zum bösen Spiel und stieg auf sein Gespräch mit dem Hengst ein.
»Was für ein Schöner bist du denn? Richtig majestätisch! Gehört er dir, Max?«
»Er ist mein bester Freund. Hast du auch ein Pferd?«
»Leider nicht. Kann ich mal auf seinen Rücken?«
»Nicht ohne Reit-Erfahrung. Storm ist ein bisschen empfindlich mit Mädchen.« Dabei war er der liebste Gaul auf Erden, aber Max wollte auf keinen Fall, dass dieses schwergewichtige Mädchen sich auf seinen zarten Rücken schwang. Auch wenn er sie leicht getragen hätte, es musste einfach nicht sein.
»Schade. Dann führ mich weiter rum! Der Pferdestall kann ja nicht schon alles gewesen sein.«
Wenn sie sich in den Kopf gesetzt hatte, dass er reich wäre, dann lag sie definitiv falsch. »Äcker und Wiesen. Da gibt’s nicht mehr viel Aufregendes zu sehen.«
»Dann lass uns spazieren gehen! Ich würde mir gerne ein bisschen die Beine vertreten nach dem schweren Apfelkuchen vorhin!« Sie lächelte selbstgefällig und hakte sich frech bei Max unter. »Komm schon!«
Es blieb ihm nichts anderes übrig, also spazierte er mit ihr an seinen Lieblingsplatz zum Angeln, einem kleinen Teich nicht allzu weit entfernt. Eine riesige Virginia-Eiche stand an seinem Ufer und spendete den nötigen Schatten. Clementine war offensichtlich ein wenig außer Atem und froh, endlich im Schatten des großen Baumes Platz nehmen zu können.
»Schön ist es hier! Kommst du mit allen Mädchen hierher?«, fragte sie mit schamlosem Grinsen im Gesicht.
Max schluckte erneut vor Verlegenheit. Lügen hatten bekanntlich kurze Beine, deshalb wollte er jetzt doch bei der Wahrheit bleiben.
»Bis jetzt noch mit keiner.« Eine zarte Röte überzog seine Wangen, denn eigentlich wäre er seit kurzem gerne mit Leon hierhergekommen. Einer seiner heimlichen Träume.
Dass Clementine das falsch verstehen könnte, war ihm erst gar nicht in den Sinn gekommen. »Dann bin ich also die Erste? Ich fühle mich geschmeichelt!« Energisch klopfte sie mit der Handfläche neben sich ins grüne Gras, auf dass er sich zu ihr setzen möge. »Komm schon! Ich beiße nicht!«
Doch, das tust du, wollte er sagen, verkniff es sich dann aber doch. Notgedrungen ließ er sich neben ihr auf dem Boden nieder und pflückte einen Grashalm, um gedankenverloren darauf herumzukauen. Am liebsten hätte er sie einfach hier sitzen lassen und wäre zurück zum Haus gelaufen.
Noch bevor er überhaupt wusste, wie ihm geschah, hatte sie ihm ihren Arm um die Schultern geschlungen und drückte ihm einen feuchten Schmatz auf die Wange. »Du gefällst mir wirklich sehr!«, meinte sie danach mit breitem Grinsen.
Max wollte nicht den Kopf drehen, er würde ohne Zweifel Gefahr laufen, dass sie ihre Lippen sofort auf die seinen legte, und starrte weiter auf die Wasseroberfläche, während er mit einem dicken Kloß im Hals versuchte, ihr zu antworten.
»Aha.« Es wollte ihm einfach nichts Besseres einfallen.
»Findest du mich hübsch?«
Wie zum Teufel sollte er da bloß wieder rauskommen? Weiber! Kein Wunder, dass er sich noch nie für sie interessiert hatte! Verzweifelt suchte er nach den richtigen Worten, um nicht unhöflich zu sein oder sie gar zu verletzen. Das hätte sein Vater ihm mal beibringen sollen, bevor er sich nach einer Braut für ihn umsah! Verdammt!
»Ich weiß nicht.«
»Wie, du weißt nicht?!« Man konnte förmlich hören, dass sie gleich sehr böse werden würde.
»Du bist eben nicht so ganz mein Fall, denke ich…«, murmelte Max verlegen. Vermutlich würde sie ihm zum Dank in der nächsten Sekunde ihre kleine Handtasche über den Schädel ziehen.
Clementine schnappte hörbar nach Luft. »Ach was! Was ist denn dein Fall?!«
»Eine weniger Aufdringliche vielleicht!«, rutschte es ihm nun doch noch heraus. Das war noch das Harmloseste, das er ihr sagen konnte.
»Das erzähle ich meinem Dad!« Eingeschnappt rappelte sie sich mühsam vom Boden hoch und verließ mit stürmischen Schritten und wehendem Haar den Schauplatz. »Flegel!«, schrie sie noch über die Schulter zurück.
Max rührte sich nicht vom Fleck. Er war erleichtert und bestürzt zugleich. Sein Vater würde nicht begeistert sein, wenn er davon erfuhr. Am liebsten wäre er gar nicht mehr nach Hause gegangen, aber leider wartete noch Arbeit auf der Farm auf ihn. Und Storm musste auch noch ausgeritten und gestriegelt werden. Ganz zu schweigen vom Ausmisten des restlichen Pferdestalls.
Er saß noch lange dort am Teich und dachte nach. Vermutlich waren Clementine und ihre Eltern wutentbrannt nach Hause gegangen und er sollte sich die Schimpftirade seines Vaters erst noch abholen. Immer wieder schweifte er gedanklich ab zu Leon und wie hübsch er im Vergleich zu Clementine doch war. Hätte der ihn gefragt, ob er ihn hübsch fände, dann hätte er allerdings auch nicht gewusst, was er sagen sollte. Wie sprach man denn mit einem Jungen, der einem besonders gut gefiel? Das war doch sicher alles total verpönt und wurde von niemandem akzeptiert…
»Hey, Bruderherz! Dad lässt dir ausrichten, dass du jetzt getrost nach Hause kommen kannst! Er hätte sich inzwischen wieder beruhigt.«
Erschrocken drehte er sich zu Rosalie um. »Ist er sehr böse?«
»Auf einer Skala von eins bis zehn? Ich würde sagen, so um die acht.« Ihre Augen leuchteten vor Amüsement. »Ehrlich gesagt, als sie weg waren, hat er gemeint, sie wäre tatsächlich eine ziemlich unangenehme Person und optisch absolut kein Hingucker.«
Max erhob sich träge und brach in schallendes Gelächter aus. »Kein Hingucker? Das hat er wirklich gesagt?«
»Ich schwöre bei allem, was mir heilig ist! Mum hat sich in der Küche halb in die Hosen gemacht vor Lachen!«
»Okay, dann komme ich gern nach Hause. Rosie, sie ist ein Drachen! Da bleibt man gern allein, das sag ich dir!«
»Inwiefern war sie denn aufdringlich? Das wollte sie dem Reverend nämlich nicht genauer erläutern.«
»Fragt mich, ob ich sie hübsch fände! Küsst mich einfach ohne Vorwarnung auf die Wange! Rückt mir einfach zu dicht auf den Leib! Ein Drachen eben!«
Rosalie kicherte vergnügt. »Das war heute wohl deine Feuertaufe!«
»Mit reicht‘s erst mal mit den Weibern! Egal, was Dad davon hält!«
»Er sucht sich bestimmt schon eine neue Kandidatin für dich aus. In der Küche hat er Mum nach Chrystal Connor gefragt. Die Tochter von der Connor Farm in Petersburg. Kennst du die?«
Max dachte fieberhaft nach. Irgendwoher kam ihm der Name bekannt vor. »Vielleicht… Ich weiß nicht. Wenn ich diesem ganzen Scheiß entgehen will, muss ich mir wohl doch noch eine Freundin zulegen… Verdammt!« Wie gewohnt schlug er sich, erschrocken über sein Fluchen, die Hand vor den Mund. »Verzeihung!«
»So sieht‘s aus, mein Freund!« Wieder kicherte sie amüsiert. »Tut mir leid, aber du solltest mal dein Gesicht sehen!«
»Vielen Dank auch!« Beleidigt stapfte er davon.
Connor Farm? War das nicht dieser Holzhandel? Ihm graute förmlich vor der nächsten arrangierten Begegnung.

*

Wenn dieses wundervolle Auto Max nicht beeindruckte, dann wusste er auch nicht! Leon setzte sich gut gelaunt hinters Steuer und freute sich auf den Abend mit dem neuen Freund. Irgendwie würde das Tanzen sie schon näher bringen, auch wenn man es in der Öffentlichkeit nicht zeigen durfte. Da war er inzwischen erfinderisch genug!
Liebevoll streichelte er über das Armaturenbrett des Twin Six. So einen schönen Wagen hatte sonst niemand in dieser Gegend. Sie konnten sich das auch nur leisten wegen der Erbschaft. Aber das musste ja niemand wissen. Neidische Blicke verfolgten ihn jedes Mal, wenn er damit durch die Stadt fuhr und freundlich durch die Scheiben grinste. Klar wusste er um sein gutes Aussehen, warum auch nicht? Mädchenherzen erst höher schlagen zu lassen und sie dann zu enttäuschen machte nun mal tierischen Spaß. Um den Schein zu wahren war er schließlich gezwungen, manchmal die richtigen Spiele zu spielen. Es war ja nicht seine Schuld, dass man Homosexualität nicht akzeptieren wollte. Da musste er eben immer das Beste draus machen und sich nicht erwischen lassen.
In letzter Minute hatten sie ihre Pläne geändert. Leon sollte Max mit dem Wagen auf der Farm abholen, damit er dessen Dad noch etwas aus dem Laden vorbeibringen konnte. Das hatte sein Vater zur Bedingung gemacht, um ihm das Auto für den Abend zu überlassen.
Als er schließlich demonstrativ auf der Farm vorfuhr, um sein Date abzuholen, wie sich das gehörte, verspürte er tatsächlich einen Anflug von lächerlicher Romantik. Irgendwie berührte Max sein Herz. Trotz allem.
Schwungvoll stieg er aus, ein neues Messer für Mr. Jenkins‘ Sense in der Hand und ging zielstrebig auf die Veranda zu. Er war noch nicht mal auf der ersten Stufe, da kam auch schon ein junges Mädchen aus der Tür gestolpert und lief aufgeregt an ihm vorbei auf den Wagen zu.
»Wow! Ist das ein Schlitten! Kann ich mal ‘ne Runde mitfahren? Bitte!!!!«
Leon wollte ihr gerade antworten, als Max auch schon vor ihm stand. »Entschuldige, das ist Rosie, meine kleine Schwester. Du hattest noch nicht das Vergnügen.« Max grinste mit hochroten Wangen.
Für einen kurzen Moment blickten sie sich wortlos in die Augen. Es war, als wüssten sie beide, was der andere gerade dachte.
»Bring deinem Dad das neue Sensenmesser! Ich drehe inzwischen eine kleine Runde mit Rosie.« Ihren Namen hatte er lauter ausgesprochen und prompt hüpfte das kleine Mädchen vor Freude im Kreis.
Max tat wie ihm geheißen. Sein Vater war hocherfreut über den Service und sah den jungen Mann aus dem Laden gleich in einem ganz anderen Licht.
»Die wissen noch, was Kundenfreundlichkeit bedeutet!«
Max nickte verlegen. »Ich geh dann mal! Hoffentlich treffe ich nicht auf Clementine beim Square Dance!«, rollte er mit den Augen.
Sein Vater lachte herzlich und klopfte ihm auf die Schulter. »Du machst das schon, Junge! Nur nicht kleinlich sein! Sie muss schon ein wenig robuster sein, wenn sie hier mithelfen soll.«
»Immer dieselbe alte Leier! Warum heirate ich dann nicht gleich einen Mann, Herrgott!« Kaum war es raus, bereute er es auch schon wieder. Sein Teint wurde noch eine Nuance dunkler, was seinem Vater Gott sei Dank in dem schummrigen Licht nicht aufzufallen schien.
»Mach keine albernen Witze, junger Mann! Hier geht es schließlich um deine Zukunft!«
Er nickte nur, dann verließ er das Haus. Was für eine Scheißwelt!
Draußen stieg Rosie gerade aus dem Twin Six und lief freudestrahlend auf ihn zu. »Das war ja so was von aufregend! Ich hab mich gefühlt wie eine feine junge Dame! Dad muss uns auch so einen besorgen!«
»Träum weiter, Rosie!«, lächelte er sie bitter an und stieg dann zu Leon in den Wagen, der bereits ungeduldig wartete.
»Wir müssen uns beeilen, wenn wir noch etwas von dem Abend haben wollen!«, meinte Leon mit einem Nicken in Rosies Richtung. »Sie ist süß. Wir sollten Amy und sie mal zusammenbringen.«
Max hatte Leons kleine Schwester schon im Laden gesehen und nickte ebenfalls. »Keine schlechte Idee.«
Mit quietschenden Reifen fuhr Leon vom Hof. Natürlich wollte er Max imponieren, wie jeder unvernünftige junge Mann beim ersten Date. Es tat seine Wirkung, der junge Farmer war beeindruckt von so viel Pferdestärken auf einmal. Es war gefährlich, aber in gleichem Maße auch sehr betörend, mit solcher Geschwindigkeit unterwegs zu sein.
»Ich hoffe, du hast keine Angst, wenn ich fahre?«
Max schüttelte den Kopf. »Du wirst schon wissen, was du tust. Ich bin jedenfalls schwer beeindruckt.«
Leon lachte schelmisch. Natürlich traute sich Max nicht ehrlich zu ihm zu sein, was die Angst vor dem Fahrtwind betraf. Er selbst hätte auch gelogen, dass sich die Balken biegen. Für den Rest der Fahrt hielt er sich an moderate Geschwindigkeiten, schließlich wollte er ihn nicht schon vor der Tanzerei verschrecken.
»Warst du schon mal beim Square Dance?«
»Nein, bisher nicht. Ich bin eigentlich nicht so wahnsinnig musikalisch«, gab Max unumwunden zu. Er würde sich noch früh genug auf der Tanzfläche blamieren. Aber was nahm man nicht alles in Kauf!
Leon grinste frech. »Du schaffst das schon! Ich erkläre dir mal kurz die Regeln. Keinen Tabak kauen, also auch nicht spucken. Deine Schuhe sind doch nicht genagelt? Das wäre verboten, wegen der Verletzungsgefahr.«
»Nein, keine genagelten Schuhe.«
»Gut. Greif mal ins Handschuhfach, da ist ein Halstuch für dich drin.«
Max holte es kurzerhand heraus und bedachte Leon mit einem strafenden Blick. »Dein Ernst?« Es war nicht gerade schön zu nennen.
»Absolut! Es ist frisch gewaschen, denn es darf nicht länger als zwei Wochen getragen worden sein. Lange Bärte sind auch verboten, aber da werden wir ja kein Problem bekommen.«
Beide grinsten verwegen.
Dann fuhr Leon fort. »Kein Herr darf seiner Partnerin die Hand drücken oder sie ernst anschauen. Außerdem darf er nicht ihr Taschentuch aufheben, falls es herunterfällt. Das Erste bedeutet, dass er sie liebt, das Zweite, dass er sie küssen möchte. Mit Letzterem zeigt sie, dass sie mit beidem einverstanden ist.«
»Sind die Regeln noch aus dem letzten Jahrhundert?«, lachte Max bei all den seltsamen Informationen.
»Sozusagen. Aber im Großen und Ganzen hält man sich noch heute dran und trägt Halstuch und Taschentücher. Bis heute gibt es zu jeder Tanzmelodie eine feste Choreographie. Der Caller hat nur die Funktion einer Gedächtnisstütze. Die hier bekannten Tänze sind Quadrillen und Contratänze des vorigen Jahrhunderts. Aber es gibt momentan auch eine Bewegung zu anderen Arten von Square Dance, Western Style Square Dancing genannt. Du wirst schon sehen, ist alles nicht so schwer.«
Max war tatsächlich erstaunt, wie gut Leon sich damit auszukennen schien. Wahrscheinlich hatte er das in seiner Zeit in der größeren Stadt gelernt und er war deshalb wirklich ein wenig neidisch auf ihn.
»Was macht denn dieser Caller eigentlich?«
»Vortanzen. Deshalb auch Gedächtnisstütze für die festgelegten Tanzschritte.«
»Verstehe. Dann muss ich also einfach nur alles nachtanzen?«
»Genau. Halt dich einfach an mich!«
Max hatte trotz allem noch immer gehörigen Respekt vor einer persönlichen Blamage. Nicht dass sich am Ende noch alle jungen Mädchen über ihn lustig machten. So etwas sprach sich verdammt schnell herum.
Als sie zusammen die Veranstaltungshalle betraten, berührte Leon ihn wie zufällig am Rücken und schob ihn sanft durch die Tür. Es war so einfach sich dem anderen ganz unschuldig zu nähern. Er bemerkte auch kurz, dass Max zusammenzuckte, als hätte er ihm einen kleinen Elektroschock verpasst. Innerlich musste er schmunzeln.
»Suchen wir uns einen Platz, von wo aus du alles sehen kannst!«, meinte er noch flüsternd dicht an seinem Ohr.
Max durchrieselte bei der geringsten Berührung ein Schauer nach dem anderen. Es war, als wäre er elektrisiert und würde zehn Zentimeter über dem Boden schweben. Langsam wurde ihm das fast unheimlich. Leon hatte solche Macht über seinen Körper, dass ihm geradezu schwindlig zu werden drohte.
»Was möchtest du trinken?«, unterbrach Leon seine Gedanken.
»Eine Coke. Auch wenn ich lieber ein Pint hätte.«
Leon lachte herzlich. »Wem sagst du das! Verdammte Regierung! Auch wenn wir sowieso zu jung wären.«
Man konnte sich nicht einmal mehr ein bisschen Mut ansaufen, wenn man abends ausgehen wollte. Das war in ihrer speziellen Situation besonders schlimm. So ein Radar für Gleichgesinnte entwickelte man im Allgemeinen nicht im absolut nüchternen Zustand.
Zuerst einmal schauten sie nur zu, was auf der Tanzfläche geschah. Max war tatsächlich ziemlich angetan von der ganzen Sache. Nie zuvor hatte er so viele hübsche Männer und Frauen auf einem Haufen gesehen. Ihm gefiel ganz besonders einer, der verdammt muskulös war und dazu noch ein wirklich schönes Gesicht sein Eigen nennen durfte.
»Der Caller mit den schwarzen Locken ist echt unglaublich! Immer im Takt!«, meinte Leon plötzlich zu ihm über den Tisch hinweg mit einem Augenzwinkern.
Sie hatten anscheinend denselben Geschmack, was Männer betraf. Max schluckte ertappt, nickte dann aber doch schief grinsend zurück.
»Komm, lass uns mitmachen! Halt dich einfach an mich! Der nächste ich ganz einfach!«
Mit wackligen Beinen reihte Max sich neben Leon in die Gruppe auf der Tanzfläche ein. Sie wurden herzlich aufgenommen und schon ging es los. Auch wenn Max am Anfang nur ein wenig holprig mithalten konnte, war er hellauf begeistert. Selbst der schöne Vortänzer hatte ihm einmal aufmunternd zugelächelt. Nach weiteren zwei Tänzen und einigen tänzerischen Blamagen seinerseits setzten sie sich durchgeschwitzt zurück an ihren Tisch und bestellten noch einmal etwas zu trinken.
»Verdammt ist der heiß!«, flüsterte Leon ihm zu.
Was sollte er ihm darauf schon antworten? »Findest du?« Etwas lahm, aber er war ja noch neu in dem Geschäft.
»Na ja, nicht so heiß wie du, natürlich!«, kam prompt von Leon zurück. Dabei berührte er ihn kurz am nackten Unterarm.
Wieder rieselte ein Schauer durch Max‘ Körper. Sein Teint war dunkelrot und der Puls in schwindelerregende Höhen geschnellt. Wie verlegen konnte man eigentlich sein? Schmeicheleien war er nicht gewöhnt. Zu einer Antwort war er nicht fähig. Ihm fehlten einfach die Worte.
Leon schien ihn erlösen zu wollen. »Ich muss mal für kleine Jungs. Kommst du kurz mit raus?«
Max nickte. Die Coke und das Ginger Ale drückten inzwischen gewaltig auf seine Blase. Er hoffte nur, dass niemand seinen engen Schritt bemerken würde. Gut, dass sein weißes Baumwollhemd weit genug nach unten ging. Er trug es lässig wie ein Cowboy über der Hose. Sein neuer Hut stand ihm hervorragend dazu. Klar, dass er so einen sein Eigen nannte, wo er doch oft genug bei sengender Hitze auf dem Feld herumpflügen musste. Leon hatte seinen wohl nur wegen des Square Dances gekauft, aber das war ihm egal, solange er damit so geil aussah wie heute Abend.
Eigentlich sollte man nicht draußen pinkeln, trotzdem machten viele das im Rahmen einer Zigarettenpause oder eines heimlichen Schluckes Alkohol, den sie von zu Hause aus der Schwarzbrennerei mitgebracht hatten. Deshalb war Max jetzt nicht im Mindesten überrascht, dass auch Leon einen kleinen Flachmann aus der Innentasche seiner Lederweste holte.
»Auch einen Schluck?«
»Gut, dass wir grade noch beim Pissen waren. Was hast du denn dabei?« Neugierig blickte er auf die halbleere Flasche in Leons Hand.
»Whisky, was denn sonst?« Er berührte Max‘ Hand eine Sekunde zu lange, als er ihm den Alkohol reichte.
Wieder durchrieselte Max eine Gänsehaut von oben bis unten. Er war wie elektrisiert und nahm einen großen Schluck, schon allein, um sich wieder in den Griff zu kriegen, dachte er.
»Woher ist der denn?«, fragte er interessiert.
Leon zwinkerte. »Das bleibt mein Geheimnis. Aber er ist gut.«
»Das ist er!« Noch einmal nahm er verstohlen an der Hausmauer um die Ecke in einer schmalen Seitengasse einen ordentlichen Schluck des bräunlichen Gebräus.
Als er Leon die Flasche zurückgeben wollte, zog der ihn an der Hand dicht an sich heran in den Schatten der Hausmauer. Überrascht zog Max die Augenbrauen nach oben und bevor er sich versah, spürte er auch schon Leons warme Lippen auf den seinen. Nackte Angst packte ihn, fast hätte er vergessen, es zu genießen, wenn Leon ihn nicht mit einem kurzen keine Sorge, hier kann uns niemand sehen zwischen ihren Lippen beruhigt hätte.
Für etwa dreißig Sekunden ließ er sich ganz auf den Kuss ein. Zum ersten Mal spürte er eine Zunge in seinem Mund, es schmeckte herrlich und er konnte die Erregung bis in die Zehenspitzen fühlen. Noch einmal dankte er im Geiste dem langen Hemd über seiner Mitte.
Dann war es auch schon wieder vorbei. Er getraute sich nicht, Leon danach direkt in die Augen zu blicken. Als wäre nichts gewesen, gingen sie, nach einem weiteren Schluck aus dem kleinen Flachmann, zusammen zurück in das Gebäude und setzten sich an ihren Tisch, um auf den nächsten Tanz zu warten.
Max‘ Gedanken rasten.
Leon zitterte merklich an den Händen.
Irgendwie schien sich alles um sie beide zu drehen. Weder Max noch Leon hatten mit solch einem Effekt gerechnet. Der unerfahrene Farmerjunge war nicht weiter überrascht über die einschneidende Wirkung ihres Kusses, Leon jedoch hatte merklich Mühe, sich wieder auf den Tanz zu konzentrieren. Nie zuvor hatte ihn ein Kuss so dermaßen aufgewühlt. Vielleicht weil seine Partner bisher immer erfahrener waren, als er selbst? Er konnte sich keinen Reim darauf machen, er wusste lediglich, dass ihm regelrecht schwindlig von dem Kuss geworden war und er noch jetzt wohlige Schmerzen im Brustbereich empfand. Als würde ihm sein Herz etwas mitteilen wollen. Über andere Regionen wollte er gar nicht erst nachdenken, solange sein Körper ihm noch immer eindeutige Signale erteilte. Am liebsten hätte er Max gleich draußen auf dem Feld hart genommen. Allein dieser Gedanke schien ihm gehörigen Respekt einzuflößen. Das hier war etwas Großes.
»Tanzen wir noch mal?«, fragte Max unschuldig über den Tisch hinweg.
Er wollte sich bewegen, das unbändige körperliche Verlangen irgendwie zu zügeln versuchen. An etwas anderes denken, als an harten schnellen Sex und die erlösende Befriedigung danach. Seine Nerven waren bis zum Zerreißen gespannt, alles in ihm schien zu vibrieren.
»Leon!?«, rief er ihn zurück in die Wirklichkeit, als dieser ihm nicht auf seine Frage antwortete.
»Hm?« Etwas verwirrt blickte er Max schließlich doch noch in die glänzenden Augen. Er wusste genau, was sich darin spiegelte, sie sprachen definitiv dieselbe Sprache. »Was hast du gefragt?«
»Noch mal tanzen?«
»Klar.«
Plötzlich schien es Max, als wäre er der Vernünftigere von ihnen. Sie begaben sich erneut auf die Tanzfläche, fügten sich ein und vergaßen bei all der Zählerei und der Konzentration auf die richtige Reihenfolge der Schritte die vorangegangene Szene draußen im Schatten der Mauer. Nach weiteren drei Tänzen beschlossen sie schwitzend, dass es ihnen für heute Abend reichte und bezahlten die Zeche. Atemlos stiegen sie in den Twin Six, Leon startete den Wagen und schon brausten sie davon Richtung Hopewell.
Schweigen breitete sich aus. Endlich, nach einer gefühlten Ewigkeit, versuchte Leon, das Eis zu brechen. Er wollte nicht länger das verschreckte Kaninchen sein, sondern wieder zu seiner vormals coolen Form zurückfinden.
»Wie hat dir der Abend gefallen?«, fragte er deshalb ohne jede Wertung mit Blick auf die Straße vor sich.
Max zögerte. Wie viel Ehrlichkeit erwartete sein neuer Freund von ihm? »Leider kein Mädchen erobert. Was sagen wir bloß unseren Vätern?«
Sein trockener Humor ließ Leons Nervosität endgültig von ihm abfallen und er lachte grölend drauflos. Da konnte Max nicht mehr länger an sich halten und lachte herzhaft mit. Sie konnten sich kaum beruhigen, so witzig und entspannt war es plötzlich wieder zwischen ihnen. Max wischte sich schließlich mit dem Hemdsärmel kichernd die Lachtränen aus den Augenwinkeln.
»Sollen wir uns eine Geschichte für die Familie ausdenken?«, wollte Leon von ihm wissen, als sie sich endlich wieder etwas eingekriegt hatten.
»Sagen wir einfach, die Mädchen waren hässlich und affektiert und die paar, die wir ins Auge hätten fassen wollen, wären bereits vergeben gewesen.«
»Du hast Recht, je weniger, desto besser. Einfach und klar.«
Sie fuhren gerade aus Hopewell heraus über die ungeteerte Landstraße in Richtung Max‘ Farm, als Leon noch einmal anhielt, weil die Blase ihn drückte. »Ich muss mal.«
Max tat es ihm gleich, die frische Nachtluft tat gut nach all der Aufregung. Leon steckte sich noch eine Zigarette an und kam um den Wagen herum, als Max gerade den Hosenschlitz schließen wollte.
»Warum hast du es so eilig?«, meinte er süffisant in der Dunkelheit. Nur die Scheinwerfer spendeten ein wenig Licht.
Max schluckte, sein Mund wurde trocken. Leon kam ganz dicht an ihn heran, drückte ihn mit seinem ganzen Körper gegen die Karosserie und betrachtete ihn auffordernd aus nächster Nähe. Ihre Blicke verfingen sich ineinander, auch wenn sie kaum etwas sehen konnten im Dunkel der Nacht. Plötzlich schnippte Leon seinen Stummel achtlos ins Gestrüpp und griff dem verdutzten Max fordernd in den Schritt.
Überrascht keuchte Max leise auf, bekam Schnappatmung und rannte schließlich davon, so schnell er konnte.
Mit einem breiten Grinsen auf den Lippen blickte Leon ihm im Licht der Scheinwerfer noch hinterher, bis ihn die Dunkelheit endgültig verschluckte.





Sonntag, 8. Januar 2017

Rebellion - Aufbruch nach New York - THREE (Online Story zum Mitlesen)

Heute gibt's den dritten Teil von Rebellion für euch!
Viel Spaß beim Mitlesen ;-)






Rating
P18

Kategorie
Gay Romance, Drama, History, Lemon

Zusammenfassung
Max und Leon, zwei Jungs aus Virginia/USA in den 30er Jahren aus einer kleinen Stadt namens Hopewell, entdecken ihre Gefühle füreinander und sind alsbald auf der Flucht in die Großstadt. 



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REBELLION


Aufbruch nach New York



~ THREE ~



Zu Hause wartete bereits ein ziemlich verärgerter Vater, als Leon kurz vor dem Mittagessen innerlich jubelnd den Laden betrat.
Er hatte sich nach dem Treffen mit Max nicht sofort nach Hause begeben, sondern war mit Storm wieder einmal zu seinem kleinen Teich außerhalb der Stadt gefahren und hatte sich dort förmlich in den Erinnerungen an den Jagdausflug gesuhlt. Mittlerweile war er sich sicher, dass Max genau wusste, was mit ihm los war, es nur noch nicht laut aussprechen oder gar zugeben wollte. Wenn er nächstes Wochenende zu ihm in die Stadt käme, würde er ihn mit nach Richmond zum Square Dance nehmen. Tanzen war immer gut, um sich näher zu kommen und man musste nicht so viel sprechen, sondern mehr agieren. Sie konnten sich ja um die Mädchen kümmern, mal sehen, wie es sich entwickeln würde. Dann wäre sein Vater auch nicht abgeneigt, ihm den Wagen zu geben. Leon hatte zwar schon mal ein Mädchen ausgeführt, aber schnell festgestellt, dass das nichts für ihn war. Max musste schließlich auch seine Erfahrungen machen, umso eher würde er sich für ihn entscheiden.
»Deine Mutter und ich gehen heute Abend aus. Du bleibst bei Amy und lässt den Laden auf bis neun Uhr.«
Leon nickte. Ihm war egal, was sein Vater ihm auferlegte, Hauptsache, er konnte dabei an Max denken. Außerdem musste er Punkte gut machen, um für das nächste Date den Wagen zu bekommen.
»Nächsten Samstag brauche ich den Twin Six, Dad! Wir wollen zum Square Dance nach Richmond!«, rief er seinem Vater noch zu, bevor dieser die Küche verlassen konnte.
»Wurde auch Zeit, dass du wieder mal unter zivilisierte Leute gehst! Wer ist wir?«
»Max und ich.«
»Max? Etwa dieser Farmerbengel mit den Latzhosen?« Genervt starrte sein Vater ihn an.
Leon zuckte nur mit den Schultern. »Warum nicht? Wir sehen uns gleich noch das College an, denn sein Dad möchte unbedingt, dass er studiert.« Eine glatte Lüge, aber hoffentlich wirkungsvoll für seine Zwecke.
Stirnrunzelnd dachte Mr. Sickler kurz darüber nach. »Höchste Zeit, dass du dich darum kümmerst!«
»Können wir uns das inzwischen denn leisten?«
»Wenn der Farmer das kann, dann wir allemal!«, brummte sein Vater angesäuert. Das wollte er sich nicht nachsagen lassen, dass sein Sohn weniger Chancen bekommen sollte als ein dummer Farmerjunge!
So ähnlich hatte Leon sich das schon gedacht. Mal sehen, was sein Vater machte, wenn er sich tatsächlich im College anmelden wollte. Das dürfte noch spannend werden! Sein Ziel war eigentlich schon immer ein Wirtschaftsstudium gewesen, aber bisher hatte es aus finanziellen Gründen nie zur Debatte gestanden. Er hätte nebenbei arbeiten müssen und das wollte sein Vater nicht erlauben, es sei denn im eigenen Geschäft, wofür er ihn allerdings nicht bezahlen wollte.
Leon hing kopfschüttelnd das Geschlossen Schild in die Tür, sperrte ab und folgte seinem Vater nach hinten in die Küche zum Mittagessen. Manchmal dachte er schon darüber nach, einfach von hier wegzugehen und auf eigenen Beinen zu stehen. Dann aber wieder sagte er sich, dass er es hier eigentlich ganz bequem hatte und sich keine Sorgen um die nächste Mahlzeit machen musste. Wollte er allerdings jemals mit einem Mann länger zusammen sein, musste er es entweder der Familie sagen oder tatsächlich für immer aus ihrem Dunstkreis verschwinden. Keine schöne Aussicht, fand er jedes Mal aufs Neue.
»Na, hast du was geschossen?«, fragte seine Mutter ihn neugierig, nachdem sie alle am Tisch Platz genommen hatten.
»Hab nicht getroffen. Aber Max hat einen Fasan erlegt. Er ist ein ziemlich guter Schütze.«
»Dass du auch noch stolz drauf wärst!«, maulte Amy mit strafendem Blick.
»Was weißt du Winzling schon! Was du grade isst, hat auch irgendwann mal jemand getötet!«, gab Leon selbstsicher zurück.
Leons Vater brummte in seinen nicht vorhandenen Bart. »Ein Schlachter oder ein Ranger sind dafür da zu töten. Nicht aber ein Privatmann zum eigenen Vergnügen. Nicht einmal in diesen Zeiten.«
»Ja, ja, Dad, wir wissen alle, dass du ein erkorener Gegner der Jagd bist! Jetzt lass mich essen, verdammt!«
»Du sollst doch nicht fluchen, Junge!«, wusste seine Mutter sich einmal mehr über seine Ausdrucksweise zu beschweren. »Morgen kommst du mit in den Gottesdienst!«
Nicht fluchen, nicht schießen, nicht ficken. Was er alles nicht tun sollte, war kaum noch an einer Hand abzuzählen. Er schluckte seinen Ärger noch einmal hinunter und steckte sich widerwillig den nächsten Bissen in den Mund.
»Dieses Mal wirst du keine Ausrede erfinden, Sohn! Der Reverend wird sicher ein ernstes Wörtchen mit dir wechseln.«
»Dad!« Er verzog sein Gesicht, als hätte man ihn zum Putzen des stillen Örtchens verdonnert. Ihm graute vor der zu erwartenden Predigt.
»Keine Widerrede! Als rechtschaffener Bürger geht man sonntags in die Kirche, basta!«, hatte sein Vater wie immer das letzte Wort.
Leon hatte kaum aufgegessen, da verdrückte er sich schon wieder in den Laden, um nicht mehr streiten zu müssen. Dort hing er zwischen den Kundschaften dann ungestört seinen Gedanken nach. Seit heute Morgen drehten diese sich ausschließlich um den jungen Farmer und sein Aussehen. Auf seine eigene Weise war er schön. Die geschmeidigen blonden Locken und diese neckischen Sommersprossen auf dem Nasenrücken! Er konnte sich gar nicht sattsehen daran! Zum ersten Mal fühlte er diese Schmetterlinge im Bauch, von denen er schon so viel in Filmen gehört und auch gelesen hatte. Nichts konnte ihn aufhalten, nichts konnte ihn ärgern. Er war einfach nur glücklich. Und das den lieben langen Tag lang.
»Ich suche nach einem Geschenk für meine Mutter…«
Wie so oft in letzter Zeit, riss ihn eine Kundin aus den Tagträumen, die die Zeit für ihn im Flug vergehen ließen.
»Was haben Sie sich denn vorgestellt?«
»Es darf nicht mehr kosten als zehn Cent…« Das junge Mädchen blickte verlegen auf die Seite.
Leon zeigte ihr verschiedene Möglichkeiten und am Ende verließ die junge Frau mit einem Stickrahmen zufrieden das Geschäft. Ihr letzter Blick hatte eindeutig ihm gegolten. Dabei war ihm ganz seltsam zumute geworden. Offensichtlich hatte er in ihr eine neue Verehrerin gewonnen. Das passierte ihm öfters, aber er hatte sich die Mädchen bisher immer gut vom Leib zu halten gewusst, indem er ihnen erzählte, dass er bereits in Richmond eine Verlobte hätte. Das würde er auch dieses Mal hoffentlich wieder hinbekommen.


*

Den ganzen restlichen Tag lang war Max nicht mehr ansprechbar gewesen. Der Fasan war schließlich beim Abendessen auf den Tisch gekommen. Nie hatte ihm etwas besser geschmeckt. Seine Gedanken kreisten ständig um diese neuen Gefühle und was genau er davon halten sollte. Ansprechbar war er nicht gewesen. Seine Mutter hatte vergeblich versucht, ein Gespräch beim Essen mit ihm zu führen. Schließlich hatte Rosalie die Augen verdreht und ihm unterstellt, verliebt zu sein. Nicht einmal das hatte er registriert, sondern stattdessen Löcher in die Luft gestarrt. Erst als das Wort Kirche gefallen war, war er wieder zu sich gekommen.
»Hä?«
»Deine Mutter möchte, dass du uns morgen wieder zur Kirche begleitest, Max. Keine Widerrede!«
Verdutzt blickte er vom Teller auf. »Okay.«
»Ist das alles, was du dazu zu sagen hast?«, wollte seine Mutter von ihm wissen.
Max räusperte sich kurz. »Keine Widerrede hat es geheißen. Ich halte mich nur an die Vorgaben.« Glücklich sah er nicht gerade dabei aus, aber es blieb ihm ja nichts anderes übrig.
»Und zieh was Anständiges an! Du hast nicht umsonst einen teuren Anzug im Schrank hängen!«, meinte sie noch fürsorglich. Oder eher um ihren Ruf bedacht.
Max nickte versonnen. Er war schon wieder ganz woanders mit den Gedanken. Noch immer konnte er Leons Nähe förmlich körperlich spüren, wenn er zurück an den Jagdausflug dachte. Und jedes Mal wieder kribbelte es dabei wie wild in seinem Bauch. Er hatte fast Mühe, seine schmerzende Erregung in der Hose vor den anderen zu verbergen.
So schnell er konnte, verzog er sich zurück zu seiner Arbeit auf dem Feld, um nur ja aus dem Blickfeld der Familie zu verschwinden. Lange währte die Einsamkeit nicht, denn Rosalie brachte ihm eine Tasse Kaffee auf den Acker, was sie bisher noch nie gemacht hatte. Verwundert blickte er ihr gegen die Sonne entgegen.
»Hey, Brüderchen! Ich hab hier was für dich!«
Sie reichte ihm den Becher und er streckte die Hand aus, um ihr nach oben neben sich auf die Beifahrerbank zu helfen.
»Was verschafft mir die Ehre?«
»Nur so. Mir war langweilig.«
»Rosie, ich bin nicht blöd. Was willst du?«
»Muss ich immer was von dir wollen, wenn ich mal freundlich sein möchte?« Beleidigt zog sie eine Schnute. Damit wickelte sie ihn jedes Mal um den Finger.
Max seufzte geschlagen. »Dann danke ich dir für den Kaffee. Fährst du eine Runde mit?«
Sie nickte zufrieden. Ihre Verabredung mit einer Schulkameradin war wegen Krankheit abgesagt worden und sie hatte sonst nichts zu tun.
Zusammen pflügten sie das Feld, es rumpelte ordentlich auf dem Sitz, aber den beiden gefiel gerade das.
»Morgen in der Kirche solltest du aufpassen«, meinte Rosalie nach einer Weile stummer Zweisamkeit.
Max schmunzelte. »Ach ja? Worauf?«
»Lach nicht! Der Reverend hat eine Tochter im heiratsfähigen Alter und Dad findet, sie würde gut zu dir auf die Farm passen.«
»Die langweilige Clementine?«, rutschte ihm sofort entsetzt heraus.
»Genau die! Ich mag ja oft grässlich zu dir sein, aber das wünsche ich dir dennoch nicht.«
»Danke für die Warnung.«
»Mutter hat den Reverend und seine Familie letzten Sonntag für morgen Nachmittag zum Kaffee eingeladen. Du kommst also nicht aus. Ich fürchte, Clementine hat ein Auge auf dich geworfen.«
Abrupt trat Max auf die Bremse. Fast wären sie beide nach vorn übergekippt. »Bitte!?«
»Kaffee und Kuchen. Ich muss gleich rein und mich um den Kuchen kümmern. Soll ich zu viel Salz reintun?«, grinste sie schelmisch.
»Bloß nicht! Oh Gott! Wie werde ich die wieder los?«
»Wie wirst du sie sonst los? Die Mädchen, meine ich.«
»Gar nicht. So direkt ist noch keine auf mich zugekommen.«
»Dann würd ich mir schnellstens was einfallen lassen!«, gab sie altklug zurück und sprang vom Traktor herunter. Mit einem Zwinkern verabschiedete sie sich von ihrem Bruder, der schockiert auf dem Traktor sitzend zurückblieb.
Was, zum Teufel, sollte er sich da einfallen lassen? Man durfte ja auch nicht verletzend werden. Missmutig trat er wieder aufs Gas und übte sich bei der Arbeit in verbalen Abfuhren, statt wieder an Leon und seine samtweiche Haut an der Wange zu denken. Verdammt!


*

Der Anzug zwickte, Max fühlte sich scheußlich. Die Krawatte schnürte ihm fast die Kehle zu, er war definitiv schlecht gelaunt und immer noch nicht vorbereitet auf die Abfuhr, die er Clementine später vielleicht erteilen musste. Schon beim Eintritt in die Kirche, hatte der Reverend ihn mit einem extra netten Lächeln begrüßt. Am liebsten wäre er einfach geflüchtet. Seine Eltern unterhielten sich mit Nachbarn und alten Freunden, während Rosalie und er dumm daneben standen.
Endlich suchten sie sich einen Platz und setzten sich nebeneinander wie die Hühner auf der Stange. Als sein Blick ein paar Reihen weiter nach vorne wanderte, bemerkte Max zufällig den dunkelhaarigen Hinterkopf eines ihm sehr wohlbekannten jungen Mannes. Sein Herz hüpfte ihm vor Freude bis zum Hals hinauf. Ein Lichtblick! Auch wenn er sicher keine Zeit haben würde, sich mit Leon zu unterhalten. Dafür würden seine Eltern schon sorgen.
Leon hatte ihn noch nicht bemerkt, seine Augen waren streng nach vorn zum Altar gerichtet. Zum ersten Mal seit langer Zeit entschloss Max sich, freiwillig zur Kommunion zu gehen, nur um auf dem Rückweg in Leons Gesicht blicken zu können. Wie lächerlich man sich doch benehmen konnte! Er schämte sich für seine kleine Manipulation.
Aufmerksam verfolgte er neben seinen Eltern den Gottesdienst. Machte alles mit, sang an den richtigen Stellen und fühlte sich dennoch wie eine Marionette an Fäden. Erst als er auf dem Weg nach vorne war, um die heilige Kommunion zu empfangen, wurde er nervös und hatte Probleme mit dem Atmen. Nur jetzt nicht hyperventilieren! Er hatte das einmal bei seiner Mutter gesehen, als sie seine Großmutter zu Grabe getragen hatten, und es war kein schöner Anblick gewesen. Immerhin wusste er seitdem, dass man im Falle eines Falles nur in eine Tüte zu atmen brauchte, damit es einem wieder besser ging. Das hätte ihm jetzt gerade noch gefehlt.
Der Reverend lächelte ihm erneut hocherfreut über seine aktive Teilnahme am Gottesdienst zu, als er ihm die Hostie auf die Zunge legte. Max bedankte sich auf die übliche Weise und drehte sich um, um sich auf den Rückweg zu seinem Platz zu machen. Sein Blick streifte die umliegenden Besucher in den Kirchenbänken und blieb mit einem mal an Leon hängen. Der strahlte ihn mit großen Augen an und nickte unmerklich zur Begrüßung. Max nickte ebenso unauffällig zurück und schlich sich dann hinter seiner Familie wieder zu seinem Sitzplatz.
Mit Herzklopfen saß er da, sein Gehirn wie leergefegt. Es war kaum zu glauben, was dieser Junge für Gefühle in ihm auszulösen vermochte. Noch immer staunte er darüber wie ein kleines Kind zu Weihnachten. Wenn man es einmal zuließ, fühlte es sich einfach wundervoll an. Wie hatte er das nur so viele Jahre lang nicht bemerken können?
Ein paarmal drehte sich Leon tatsächlich während des Gottesdienstes zu ihm um und grinste verboten. Wenn er es nicht besser wüsste… Hoffentlich lag er mit seinen Vermutungen richtig, nichts wünschte Max sich sehnlicher. Auch wenn das viele Probleme und Heimlichkeiten nach sich ziehen sollte, das Kribbeln in seinen Eingeweiden, allein beim Anblick des anderen, schien jede erdenkliche Mühe wert.
Am Ausgang der Kirche verabschiedeten sich seine Eltern noch persönlich vom Reverend und nannten ihm drei Uhr als passende Zeit für einen Besuch draußen auf der Farm. Dieses Mal stand auch dessen Familie neben ihm und Clementine grinste verschämt in seine Richtung. Max nickte nur kurz dazu, verzog aber keine Miene. Bloß nicht noch ermutigen!
Zurück auf der Farm, wollte seine Mutter ihm noch einmal die gebräuchlichen Anstandsregeln eintrichtern, als ob sie noch nie Besuch von jungen Mädchen gehabt hätten. Seine Cousine und ihr Mann aus New York City waren auch schon ein paarmal dagewesen, er kannte sich definitiv aus mit den Benimmregeln für die oberen Zehntausend.
»Und lass die Ellbogen vom Tisch! Leg das Besteck immer richtig ab, auch wenn es nur die Kuchengabel ist!«
»Meine Güte, Mum! Ich bin doch kein Hobo!«
»Du bist ein einfacher Farmer und Clementine ist eine wohlerzogene junge Dame aus einem Pfarrhaushalt. Du musst einen guten Eindruck auf sie machen!«
»Sie gefällt mir überhaupt nicht!«, meinte er bestimmt. »Ich habe keine Lust ihr schöne Augen zu machen, wenn ich doch gar nichts von ihr will!«
»Du musst ja nichts überstürzen, Junge! Lern sie doch erst mal kennen! Sie ist wirklich nett. Und sehr höflich.«
»Und zu fett!«, schlug er noch einmal in die Kerbe.
»Max! Wie kannst du es wagen!« Empört schnappte seine Mutter nach Luft.
»Ihr könnt mich doch nicht einfach an die meistbietende verschachern, Herrgott noch mal!«
Sein Vater schlug krachend auf den Tisch. »Schluss damit! Sie wird dir eine gute Frau sein, also benimm dich gefälligst! Nicht jede ist gewillt mit dir auf der Farm zu leben und schwer zu schuften!«
»Genau. Clem sieht einfach nicht danach aus! Sie ist schon auf dem Pausenhof immer die Faulste gewesen! Ich erinnere mich noch gut an sie, niemand wollte sie in die Mannschaft wählen, weil sie so fett ist!«
»Sie ist nicht fett. Sie ist wohlgenährt. Das ist ein feiner Unterschied. Und sie kann viele gesunde Kinder bekommen. Basta!« Wütend starrte seine Mutter ihn an.
Bisher hatte Rosalie geschwiegen, doch jetzt erhob auch sie ihre Stimme. »Mutter, das kannst du Max doch nicht ernsthaft antun? Sie ist hässlich und … wirklich fett! Er hat was Besseres verdient!«
Sein Vater schüttelte energisch den Kopf. »Es wird Zeit, dass er sich um eine Frau kümmert! Er muss ja nicht sofort heiraten. Eine Verlobung tut es auch.«
»Ich bin doch erst siebzehn! Die Farm läuft uns doch nicht weg!«
»Je früher du dich umsiehst, umso besser! Du machst ja nicht einmal Anstalten, dich um eine Frau zu bemühen!«
»Hab ich nicht gesagt, dass ich mit Leon am Samstag zum Square Dance nach Richmond will? Wozu, glaubst du, fahren wir in die Stadt?«
»Dort findest du doch keine vernünftige Frau, Junge! Eine, die auf dem Hof hart arbeiten will«, meinte seine Mutter vernünftig.
»Dafür aber eine, die ich lieben kann! Oder so«, murmelte Max verzweifelt. Diese Clementine war ja vielleicht ganz nett, aber er ekelte sich geradezu vor ihr, wenn er nur an ihre blasse Haut und die strähnigen Haare dachte…