Hier noch mal eine kleiner Ausschnitt von weiter hinten im Buch, den man bei der Kindle Leseprobe/Blick ins Buch nicht zu lesen bekommt ;-)
~ Kapitel 23 ~
Darcy hob das Telefon ab und meldete
sich wie üblich: „Kensington Constructions, Darcy Meadows am Apparat?“
„Hier ist Miss Lamotte.
Könnte ich ihren Boss sprechen, bitte?“ Sie klang noch etwas mitgenommen.
„Augenblick, ich frage
nach, ob er Zeit hat. Momentan hat er einen Kunden im Büro.“ Sie drückte sie
weg und stellte sich selbst zu Gale durch. „Hast du Zeit für die Lamotte?“
Gale sah ruckartig von
seinen Unterlagen auf und hörte sein Herz bis nach oben in den Hals hämmern.
Sie war also wieder fit genug. Es hatte nur drei Tage länger gedauert, als
gedacht. Drei Tage, in denen Gale sich nicht getraut hatte, sich bei Sandy zu
melden. Es herrschte Funkstille zwischen ihnen. Von Deacon erfuhr er, dass er
seitdem nicht mehr im Club aufgetaucht war, das stimmte ihn irgendwie froh.
„Okay, stell sie durch.
Aber unterbrich mich in fünf Minuten, wenn ich sie bis dahin noch an der
Strippe habe, ja?“
Darcy tat wie ihr
befohlen, es knackte es in der Leitung und Gale nahm das Gespräch an.
„Miss Lamotte? Schön, dass
es Ihnen wieder besser geht! Was kann ich heute für Sie tun?“
„Hallo, Liebster... Wir
hatten eine Vereinbarung, erinnerst du dich?“, flötete sie durch den Hörer,
womit sie Gale eine echte Gänsehaut auf den Körper zauberte. „Ich gebe dir noch
Zeit bis heute Abend, dann bin ich mit Brianna zu Hause in unserem neuen Heim.
Sandy hat es inzwischen möbliert und ich freue mich schon, mein Bett so richtig
mit dir einzuweihen.“
„Wie ich Ihnen bereits
sagte, gedenke ich nicht, auf Ihr Angebot einzugehen.“
„Weil du stattdessen
lieber hinter meinem Bräutigam her bist, ich weiß.“
„Weil ich mich nicht
erpressen lasse und nichts verbrochen habe, darum!“
Bridget seufzte hörbar
auf. „Du hast noch eine Chance, Gale. Ich bereite dir den erotischen Himmel auf
Erden. Wenn du jetzt nicht einlenkst, mache ich meine Drohung wahr... Also, wie
entscheidest du dich?“
„Dagegen!“, schrie er
entrüstet und knallte lautstark den Hörer auf die Gabel. Was für eine blöde
Kuh!
Darcy kam sofort herein
und brachte ihm eine Tasse Kaffee. „Alles okay soweit?“
„Sehe ich so aus?“
„Definitiv nicht.“
„Sie wird mich hinhängen.
Ganz sicher wird sie mich im Ort schlecht machen.“
„Wer weiß, vielleicht hat
sie auch nur gedroht und ist am Ende doch zu feige oder zu verliebt in dich?“
„Verliebt? Die ist einfach
nur geil auf mich.“ Gale schüttelte sich angewidert. Er stand auf und wollte
auf seine neue Baustelle, um sich mit körperlicher Arbeit ein wenig den Frust
auszutreiben.
„Sie ist inzwischen
eingezogen, wusstest du das? Gestern kam die Spedition hier vorbei und hat neue
Möbel angeliefert. Der Fahrer hat sich bei mir nach dem Weg erkundigt.“
„Ich weiß. Hat Sandy sich
eigentlich hier auch irgendwann blicken lassen?“ Seine hungrigen Augen
verrieten ihn.
Darcy grinste. „Er war im
Haus, das weiß ich von meiner Mutter. Und die hat es von Frances. Die wiederum
direkt von Miss Lamotte, als sie sich gestern nach der Entlassung aus dem
Krankenhaus die Haare hat machen lassen. Meine Mum war übrigens total
begeistert von Brianna.“
„Gott! Ich hasse dieses
Kaff!“ Er schlug die Tür hinter sich zu und schwang sich hinter sein Lenkrad.
„Wieso gehe ich eigentlich nicht als Stricher nach Atlanta? Ich muss verrückt
sein!“, sprach er zu sich selbst und ließ den Motor aufheulen.
~*~
Mit einem weißen Blatt Papier in der
Hand kam Police Sergeant Jackson zu seinem Boss ins Büro und legte es ihm mit
einem Paar Einmal-Handschuhen daneben auf den Schreibtisch.
„Das kam heute aus Jasper
rüber. Die Kollegen haben den Brief in ihrem Postkasten gefunden. Bevor ich ihn
der Spurensicherung übergebe, wollte ich, dass Sie sich das ansehen.“
Commissioner Carlton zog
sich die Handschuhe über und faltete den Zettel vorsichtig auseinander. Fein
säuberlich waren einzelne Buchstaben aufgeklebt worden, die er schließlich mit
einigem Erstaunen laut vorlas.
SIE SOLLTEN
DEN ARCHITEKTEN GENAUER
UNTER DIE LUPE
NEHMEN – ER WAR
MIT MR. BRENNIGAN ALLEIN
IM TALBOT-HAUS UND
SIE WAREN EINDEUTIG
NETTER ZUEINANDER ALS
ÜBLICH. EIN HEIMLICHER
BEOBACHTER.
„Dieser Fall wird immer
interessanter. Warum geht der angebliche Zeuge nicht einfach zur Polizei und
erzählt, was er beobachtet hat?“, sinnierte der Commissioner vor sich hin.
„Das habe ich mich auch
schon gefragt. Aber in so einer Kleinstadt gibt es nun mal eine Menge Klatsch
und Tratsch. Hoffen wir auf Fingerabdrücke, die ein wenig Licht in diese Sache
bringen.“
Er nahm ihm den Wisch
wieder ab, faltete ihn zusammen und steckte ihn zurück in eine Plastiktüte,
bevor er sich die eigenen Handschuhe abstreifte und sie in den Mülleimer
beförderte.
„Wir sollten trotzdem noch
einmal mit diesem Kensington sprechen. Er hat nie erwähnt, dass er mit dem
Opfer irgendwann intimer gewesen wäre als üblich. Seltsam, warum sollte er uns
etwas verschweigen?“
„Ich gebe Ihnen Bescheid,
wenn wir die Untersuchungsergebnisse haben, dann können wir vielleicht gleich
zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen.“ Jackson grinste überzeugt und verließ
das Büro seines Chefs.
Carlton holte sich die
Akte Brennigan erneut auf den Tisch und begann darin zu blättern. Er hatte es
schon hundertmal gelesen, irgendwo musste die Antwort darin zu finden sein. Und
dieser anonyme Brief war vielleicht endlich ein weiteres Puzzleteil in diesem
undurchsichtigen Fall. Etwa drei Stunden später kam Jackson zurück in sein
Büro.
„Keinerlei Spuren oder
Fingerabdrücke. Da war zumindest kein Idiot am Werk.“
„Habe ich mir fast
gedacht. Welche Zeitungen hat er benutzt?“
„Örtliche Tageszeitungen,
diverse Hochglanzmagazine.“
„Hochglanzmagazine?“
„Ja, steht so in dem
Bericht.“
„Wir sollten auch eine
Frau in Betracht ziehen, was denken sie? Raffinesse ist meist weiblichen Tätern
zuzuordnen. Kann man feststellen aus welchen Zeitschriften konkret?“
„Nicht auf die Schnelle.
Aber ich kann das veranlassen, wenn Sie wünschen.“
„Wir fahren nach Jasper
und sprechen mit Kensington. Vielleicht hat er ja irgendwelche Feinde, denen er
so etwas zutraut? Egal ob es der Wahrheit entspricht oder nicht. Und packen Sie
vorsichtshalber einige DNS-Test Sets mit ein, man kann nie wissen.“
Zusammen machten sie sich
auf den Weg zu ihren Ermittlungen und nahmen das anonyme Schreiben im
Plastikbeutel gleich mit. Was sie bisher über den Architekten herausgefunden
hatten, war alles andere als uninteressant. Er galt in der Szene als berüchtigt
und es war allgemein bekannt, dass das Opfer sich seit langem nach ihm verzehrt
hatte, sowie, laut Barkeeper, sogar intimen Kontakt mit ihm gehabt haben
sollte. Er hatte kein Alibi für die Tatzeit und jetzt kam auch noch diese
anonyme Anschuldigung hinzu. Es wurde langsam eng für den jungen Unternehmer.
~*~
Darcy war mehr als besorgt, als die beiden
Beamten erneut bei ihr im Büro auftauchten und nach ihrem Boss fragten. Sie
schickte sie auf die derzeitige Baustelle und schnappte sich sofort das
Telefon, kaum dass sie das Büro wieder verlassen hatten.
„Du bekommst Besuch, die
Bullen aus Atlanta“, meldete sie sich kurz und bündig mit zitternder Stimme.
„Jetzt?“, wunderte sich
Gale nicht wenig über diesen neuerlichen Überfall.
„Jetzt! Was geht da vor?
Ich mache mir wirklich Sorgen, Gale! Die sahen verdammt überzeugt und
zielstrebig aus!“
„Was sollen sie schon
wollen? Ich bin sauber, also lass sie kommen!“
Er schüttelte den Kopf
über Darcys wilde Fantasie, aber insgeheim wurde ihm schon etwas mulmig zumute.
Immerhin könnte Bridget geplaudert haben und sie wollten jetzt wissen, warum er
ihnen das kleine Intermezzo im Neubau verschwiegen hatte. Allerdings hatte
niemand danach gefragt und ihm war es auch nicht wichtig erschienen, bis
Bridget es ihm gegenüber in erpresserischer Weise erwähnt hatte.
Darcy wünschte ihm noch
viel Glück und legte auf. Gale wandte sich an seine Vorarbeiterin und gab ihr
noch letzte Anweisungen für den Rest des Tages. Er hatte so ein Gefühl, dass er
nicht mehr allzu viel würde erledigen können, wenn die Bullen hier erst einmal
aufgetaucht waren. Dann machte er sich mit Eifer wieder an die geliebte Arbeit
und wartete auf die Beamten. Shania beobachtete ihn neugierig, sie kannte ihn
inzwischen gut genug, um zu sofort merken, dass etwas nicht in Ordnung war mit
ihm.
„Boss? Hast du Probleme?“,
sprach sie ihn doch noch irgendwann an, als er das x-te Mal tief aufseufzte und
seinen Blick auf die Zufahrtsstraße richtete.
„Hm? Nein. Es kommen
gleich zwei Bullen, die mich interviewen wollen, das ist alles.“
„Wegen des Toten auf dem
Highway?“
„Exakt. Ein guter Freund.
Und sprich nicht so befremdlich über ihn.“ Er passte gerade einen Balken in das
Gefüge.
Shania schluckte.
„Verzeihung...“
„Bisher wart ihr alle
recht zurückhaltend, was meinen neuen Status als Schwuchtel angeht. Verrätst du
mir, was hinter den Kulissen getratscht wird, wenn ich nicht dabei bin?“ Er
wollte einfach wissen, wie sie privat zu ihm standen.
Shania schluckte abermals.
Es war nicht ihre Aufgabe, die anderen bei ihm auszurichten, aber er hatte es
verlangt und sie konnte seine Beweggründe verstehen.
„Nicht viel, wenn ich
ehrlich bin. Willie findet es ekelhaft, Antonio schade für die Frauenwelt, aber
wenigstens hätte er jetzt mehr Chancen bei den Girls, Nigel hält sich komplett
raus und ich... Ich bin modern. Es wäre mir lieb, wenn wir beide unser
Verhältnis so beibehalten wie bisher. Mir ist egal, mit wem du ins Bett gehst,
solange du mir Nigel nicht umpolst“, grinste sie verhalten.
Gale hatte ihr aufmerksam
zugehört. Sie war extrem nervös, das konnte er spüren. „Nigel ist so wenig
schwul, wie ich eine Hete bin. Du kannst ihn behalten! Aber jetzt mal unter
uns: Du traust dich kaum mich anzusehen, geschweige denn mich anzufassen. Ich
beiße nicht und ich bin nicht ansteckend, das kannst du auch gerne deinen
Kollegen weitergeben.“ Er sah nicht einmal von seinen Hölzern auf dabei. „Was
immer du über mich hören solltest, frag mich zuerst persönlich, ob es der
Wahrheit entspricht, bevor du vorschnell über mich urteilst, haben wir uns
verstanden?“ Jetzt hatte er ihr seinen Kopf zugewandt und blickte sie
herausfordernd an.
„Ähm... Ja, klar... Boss.“
Etwas konsterniert stapfte
sie davon. Sie hatte offensichtlich redlich Mühe, sich wieder eine etwas
gesündere Gesichtsfarbe zuzulegen. Er hatte sie total beschämt. Und klar war
sie unsicher ihm gegenüber, auch gegen ihre Überzeugung. Es war eben doch ein
wenig gewöhnungsbedürftig für alle seine Mitmenschen.
Gale schüttelte amüsiert
den Kopf über sie. Als er sich wieder seiner Arbeit zuwenden wollte, sah er
schon von weitem den dunkel getönten Wagen auf sich zukommen. Sie hatten ihn
also gefunden. Er wischte sich die Hände an der Jeans ab, drehte sein Cap nach
hinten und trocknete sich mit seinem Baumwolltuch kurz den Schweiß von der
Stirn. Auch wenn er es nicht sein sollte, er war nervös. Irgendetwas lief hier
nicht rund und er spürte förmlich die unguten Schwingungen in der Luft. Sie
parkten am Straßenrand, stiegen aus und kamen zügig auf ihn zu. Sein Herz
pochte ihm ungewollt bis zum Hals hinauf.
„Mr. Kensington? Haben Sie
kurz Zeit für uns?“, begrüßte Commissioner Carlton ihn mit einem kräftigen
Händedruck.
„Natürlich. Wollen wir uns
vielleicht in den Schatten setzen? Da drüben sind ein paar Klappstühle unter
der Linde, wenn Ihnen das recht ist?“
Zu dritt setzten sie sich
in den Schatten und Gale bot ihnen ein Glas Wasser an, schenkte ein und sah
dann erwartungsvoll auf die beiden Herren in den dunklen Anzügen.
„Also, was gibt es Neues?
Irgendeinen Verdächtigen?“
„Gut, dass Sie fragen. Wir
haben von Ihrem Polizeirevier vor Ort einen anonymen Brief zugesandt bekommen
und dachten, wir sollten Ihnen den zeigen.“
Jackson holte den
Plastikbeutel aus seiner Aktentasche und gab ihn an Gale weiter. Er betrachtete
den Inhalt durch die Folie und las aufmerksam, was dort fein säuberlich
aufgeklebt war.
„Jetzt wird mir einiges
klar...“, meinte er nickend und reichte dem Sergeant das Beweisstück zurück.
„Das da wäre?“, hakte
Carlton nach.
Gale räusperte sich. „Sie
fragen sich sicher, warum ich Ihnen nichts von der Sache im Neubau erzählt
habe?“
„Erraten!“ Nicht einmal
ein Grinsen entwich dem älteren Beamten.
„Hören Sie... Jaden war
mit Deacon hier, das wissen Sie. Wir waren auch einen Moment allein im
Talbot-Haus, aber ich habe ihm nur gesagt, dass ich nicht auf ihn stehe und
auch nie stehen werde. Er hat es verstanden. Und mich kurz auf die Wange
geküsst. Das war alles. Beobachtet hat das nur eine Person und das war Miss
Bridget Lamotte, Mr. Talbots Verlobte. Sie hat mir gedroht, damit im Ort
hausieren zu gehen und mich auf diese Weise zu vernichten, wenn ich nicht mit
ihr.... ins Bett gehe. So verrückt das klingt, sie ist regelrecht von mir
besessen.“ Ein verlegenes Lächeln umspielte seine Mundwinkel.
„Sie denken also, der
Brief könnte eventuell von ihr stammen?“
„Absolut, niemand sonst
wusste davon. Und sie wollte mich erpressen.“
„Also schön, nehmen wir
an, es ist so geschehen, wie sie uns das weismachen wollen. Wir haben
inzwischen noch einige andere Aussagen zu Protokoll genommen. Zum Beispiel
heißt es da, dass Sie, Mr. Brennigan und ein Barmann aus dem Rising Sun
miteinander intim gewesen wären. Was können Sie uns dazu erzählen?“
„Wer hat das behauptet?“,
fragte Gale überrascht, aber er konnte es sich lebhaft vorstellen.
„Besagter Barmann, und Mr.
Talbot hat es uns gestern noch bestätigt“, antwortete Carlton ruhig.
„Ja, Reuben hat ihm damit
im Six Feet Under nach der Beerdigung in den Ohren gelegen. Mir war das nur
unendlich peinlich und ich bin abgehauen.“
„Peinlich? Das müssen Sie
mir näher erklären?“
„Mr.? Wie war noch ihr
Name, Sir?“
„Carlton.“
„Ach ja, Mr. Carlton,
wissen Sie... Ich prahle für gewöhnlich nicht mit meinen Abenteuern, Reuben
hingegen schon. Mr. Talbot ist mein Kunde. Ich habe mich ihm gegenüber
geschämt, so einfach ist das.“
Carlton ließ eine weiße
Zahnreihe aufblitzen. „Gibt es so etwas überhaupt in ihrer Szene? Schamgefühl?“
Ein Seitenhieb auf die
schwule Community. Gale biss notgedrungen die Zähne zusammen und schluckte
seinen Ärger darüber einfach hinunter. „Durchaus, Commissioner, durchaus.“
„Wir möchten eine
DNS-Probe von Ihnen nehmen, wenn Sie damit einverstanden sind.“
„Muss ich das tun?“
„Sie können gerne einen
Anwalt konsultieren, aber wir sind berechtigt jeden Verdächtigen dazu zu
zwingen.“ Carlton sah ihn unerbittlich an.
„Demnach gelte ich also
als verdächtig – gut zu wissen...“
Gale wollte keinen
Aufstand riskieren und sich noch verdächtiger machen, als er sowieso schon war,
also willigte er schließlich doch ein, eine Speichelprobe abzugeben. Seine
Arbeiter beobachteten das Ganze aus der Ferne und waren sichtlich empört. Als
das Wattestäbchen sicher verstaut war, wollte Gale aber seine Neugierde noch
einmal befriedigen und stellte dem Commissioner die ihm wichtigste Frage.
„Wieso haben Sie Mr.
Talbot noch einmal dazu befragt? Ich dachte, er wäre inzwischen aus der Schusslinie?“
„Nachdem wir diesen
ominösen Brief erhalten hatten, mussten wir außer Ihnen auch Ihre kleine intime
Runde aus Atlanta noch einmal dazu verhören. Und wie Sie sehen, hat es sich
gelohnt.“
„Mr. Talbot wollte mir
demnach eins reinwürgen, verstehe...“, murmelte Gale betroffen.
„Bitte?“, fragte der
Commissioner überrascht nach. „Er hat doch nur die Wahrheit gesagt, oder?“
Gale lachte kurz
hysterisch auf. „Ja, das hat er! Aber wahrscheinlich hat er von selbst damit
angefangen, habe ich Recht? Mit Reuben und dem nicht vollendeten Dreier, meine
ich.“
„Nein, das hat er nicht.
Ich wollte konkret wissen, was er über ihr intimes Treffen weiß. Und ich muss
sagen, er war bestens informiert. Auch Mr. Willis hat es uns bestätigt, nachdem
der Barmann geplaudert hatte. Wir machen nur unseren Job, Mr. Kensington.“
„Ja, natürlich. War das
alles?“
„Vorerst ja. Halten Sie
sich zur Verfügung. Auf Wiedersehen.“
Police Sergeant Jackson
verabschiedete sich ebenfalls mit einem Nicken und sie verließen die Baustelle.
Kaum war der Wagen außer Sichtweite, stieß Gale wütend mit dem Fuß an den
Klapptisch und fluchte wie ein Rohrspatz.
„Dieser kleine Pisser!
Kaum macht man mal einen Fehler, rächt er sich sofort! Scheiße!“ Krebsrot vor
Wut stieg er in seinen Wagen und brauste ohne ein Wort des Abschieds davon.
Er musste sich irgendwie
beruhigen und die Einzige, die ihm mitten am Nachmittag gerne zuhören würde,
war Darcy. Also fuhr er in sein Büro und schlug dort geräuschvoll die Tür
hinter sich zu. Seine Assistentin war erschrocken zusammengezuckt, als er so
überstürzt hereingekommen war. Gale ließ sich wortlos auf seinen Ledersessel
fallen und winkte sie zu sich herein. Wie immer kam sie mit einer Tasse frisch
aufgebrühten Kaffees und setzte sich ihm gegenüber auf den Besuchersessel. Völlig
fertig erzählte er, was geschehen war und schimpfte wie ein Rohrspatz auf
Sandys Plauderlaune. Darcy versuchte, ihn zu beruhigen, aber das war gar nicht
so einfach.
„Werden sie die blöde
Lamotte wenigstens auch unter die Lupe nehmen?“
Zu seinem größten
Entsetzen hatte er tatsächlich vergessen, danach zu fragen. „Scheiße!
Hoffentlich! Sollte ich vielleicht mal nachfragen?“
„Ruf sie einfach an, mal
sehen, was sie gerade macht.“ Darcy grinste hinterlistig. Warum die Bullen
belästigen, wenn man den Übeltäter auch direkt ansprechen konnte.
„Gute Idee...“ Er griff
zum Telefon und wählte ihre Nummer. Nicht ohne ein Zittern in den Händen.
Es war belegt. Er musste
sich also noch gedulden. Erst satte dreißig Minuten und gefühlte hundert
Versuche später hob sie endlich ab. Gale war inzwischen ein wahres Nervenbündel
und hatte bereits zwei Tassen Kaffee intus.
„Gale? Du hast es dir also
überlegt!“, begrüßte sie ihn, aufgedreht wie immer, mit zuckersüßer Stimme.
Das klang nicht nach einem
kürzlichen Polizeibesuch. Er war enttäuscht. „Mr. Kensington für Sie. Und nein,
machen Sie sich keine Hoffnungen! Ich wollte nur nachfragen, ob im Haus auch
alles in Ordnung ist – das ist unser Kundenservice.“
„Alles ist bestens und
wartet nur auf dich, mein Süßer. Jetzt gib dir doch endlich einen Ruck und
besuch mich heute Abend nach der Arbeit?“, bettelte sie, als ob nie etwas
gewesen wäre. „Mein Bett wartet schon auf dich! Ich kann es uns auch anwärmen,
wenn dir das lieber ist?“
„Ich dachte, Ihr Verlobter
zieht jetzt auch dort mit ein?“
„Sandy kommt erst morgen
wieder her. Er kann immer nur am Wochenende hier sein, das ist doch perfekt für
uns beide, findest du nicht? Brianna gebe ich zu meinem Babysitter. Miss
Constance freut sich immer, wenn sie auf die Kleine aufpassen darf. Und wir haben
das ganze Haus für uns allein!“
„Constance McDillon?“
Ein junges Mädchen aus der
kirchlichen Gemeinschaft, das absolut unschuldig und naiv in seinen Augen war.
Selbst Darcy hatte erschrocken ihre Augen aufgerissen, als ihr Name gefallen
war.
„Ja, ein liebes Mädchen.
Und so höflich! Also, was ist jetzt, kommst du vorbei?“, säuselte sie unbeirrt
weiter.
„Nein, Herrgott noch mal!
Und wenn Sie Constance auch nur ein Haar krümmen, erwürge ich Sie mit meinen
eigenen Händen!“, brüllte er besorgt durchs Telefon und legte einfach auf.
„Scheiße!“
Darcy seufzte schwer. „Das
gefällt mir nicht, Gale, das gefällt mir gar nicht. Wenn sie den Brief
geschrieben hat, wer weiß, wozu sie noch alles fähig ist? Constance ist da
nicht sicher, wenn du mich fragst.“
Er nickte bestürzt und
überlegte seinen nächsten Schritt. Soviel er wusste, hatte Ellen guten Kontakt
zu den Kirchenmitgliedern. Aber sie war derzeit nicht wirklich gut auf ihn zu
sprechen. Trotzdem wollte er es versuchen und rief sie zu Hause an. Er hätte es
sich nie verziehen, wenn dem Mädchen etwas passiert wäre und er nichts
unternommen hätte. Darcy ging in der Zwischenzeit einmal kurz ans Telefon an
ihrem Schreibtisch und kam dann zurück, als er gerade mit Nolans Noch-Frau
sprach.
„Ellen, könntest du mir
einen Gefallen tun?“
„Und Nolan zurücknehmen?!
Du kannst mich mal!“, keifte sie ihn eiskalt an.
„Nein, es geht um etwas
anderes. Lass mal unsere Differenzen kurz beiseite, bitte. Du kennst doch die
McDillons?“
„Ja, warum?“ Ihre Stimme
hatte sich ein wenig beruhigt und sie versuchte sich zu beherrschen.
„Ihre Tochter Constance
babysittet Brianna, die Tochter von Miss Lamotte und Mr. Talbot.“
„Kann sein, was geht mich
das an?“
Gale unterdrückte einen
kleinen Fluch, denn mit Ellen kam man am besten zurecht, wenn man sich
christlich und wohlerzogen benahm.
„Diese Lamotte ist
vielleicht gefährlich. Ich traue ihr buchstäblich alles zu und ich wäre dir
sehr dankbar, wenn du den McDillons irgendeinen Vorwand nennen könntest, dass
sie Constance den Job verbieten. Ist das irgendwie möglich?“
„Hör zu! Ich weiß nicht,
was bei euch da eigentlich läuft. Ich will es auch gar nicht wissen! Aber die
Lamotte erzählt überall im Ort, dass du mit dem Opfer allein gewesen sein
sollst, in ihrem Haus. Und dass er dich geküsst haben soll. Falls das also
jetzt eine Retourkutsche werden soll, dann nicht mit meiner Hilfe!“, fauchte
Ellen erbost.
„Es ist mein Ernst, Ellen.
Du kennst mich doch, seit wir klein waren. Ich war nie ein Lügner. Sie ist mit
Vorsicht zu genießen. Mich wollte sie erpressen, weil sie mich und Jaden damals
zusammen gesehen hat. Und das nur, um mich selbst ins Bett zu kriegen, kannst
du dir das vorstellen?“ Er hielt die Luft an, so deutlich war er noch nie
geworden.
„Du bist doch schwul, was
will sie dann mit dir?!“
„Mich verwöhnen, sagt sie.
Sie ist wahnsinnig! Du musst das Mädchen da herausholen, bevor sie sie für ihre
Zwecke einspannt. Ich weiß nicht, was sie noch alles auf dem Kerbholz hat. Am
Ende hat sie bei Jaden auch irgendwie ihre Finger im Spiel gehabt, wer weiß das
schon so genau?“ Gale hatte das einfach so daher gesagt, aber kaum war es raus,
schien es ihm sogar plausibel.
„Du musst verrückt
geworden sein!“
„Nein, ich bin so klar wie
seit langem nicht mehr. Hol Constance da raus, verdammt noch mal!“
„Und wie soll ich das
anstellen, zum Kuckuck!? Ruf doch diesen Talbot an, soll der das regeln!“
„Das kann ich nicht, wir
haben privaten Ärger. Außerdem hört sie nicht auf ihn. Bitte, ich flehe dich an
im Namen des jungen Mädchens!“
„Scheiße! Na ja...
Vielleicht kann ich den Reverend dazu überreden, dass er mit ihren Eltern
spricht. Aber glaub bloß nicht, dass damit alles zwischen uns wieder in Ordnung
ist!“, zischte Ellen ins Telefon und Gale fiel ein Stein vom Herzen.
„Danke, Ellen. Du hast was
bei mir gut!“
„Ach ja? Dann behalte
Nolan und führ ihn zum Traualtar!“ Sie legte abrupt auf.
Gale starrte erst auf den
Hörer in seiner Hand und dann auf Darcy. Sie sah ihn fragend an.
„Und?“
„Ich soll Nolan heiraten.“
Darcy lachte spontan laut
los. Gales trockener Humor war einfach manchmal nicht zu überbieten.
„Man kann sagen, was man
will, sie ist echt witzig!“
„Hör auf!“ Er war trotz
allem schlecht gelaunt. „Der arme Nolan hat keine Chance mehr bei ihr. Er muss
irgendwie eine Regelung für Penelope finden.“
„Tut mir leid, aber du
bringst mich immer zum Lachen.“ Sie schmollte gespielt. „Ihr wärt übrigens ein
schönes Paar“, setzte sie noch mutig hinzu und grinste.
Selbst Gale musste jetzt
lachen. Nolan und er den Mittelgang entlang schreitend, er im schwarzen Anzug
und Nolan im weißen Tüllkleid, der Reverend schon auf sie wartend und die halbe
Stadt sitzt in den Bänken und singt das Halleluja. Unvorstellbar für den jungen
Mann.
„Sag bloß nichts zu Nolan
darüber, hörst du? Er ist derzeit ein wenig empfindlich.“
„So wie du.“
„Lass das, Darcy! Ich bin
nicht gut aufgelegt.“
„Ich weiß, Mr. Talbot hat
dich abblitzen lassen.“
„Woher weißt du denn
davon?“, knurrte er angepisst.
„Dein Babysitter und
Wunschehemann laut Ellen hat mich telefonisch vorgewarnt, bevor du nach der
Beerdigung wieder zur Arbeit kamst. Er meinte, ich soll alles Stressige von dir
fernhalten, denn du wärst ein wenig neben der Spur wegen Sandy Talbot.“
„Elendes Plappermaul!“
„Nolan hat es nur gut
gemeint. Sei ihm bitte nicht böse deswegen. So, ich muss jetzt deine Rechnungen
schreiben. Kommst du zurecht?“
Gale nickte und sie
verließ sein Büro. Müde legte er seinen Kopf auf die Hände auf seinem
Schreibtisch und seufzte tief. Er hatte das Gefühl, als würden die Geier schon
über ihm kreisen.